Peter Thiel: Deutschlands missverstandenster Auswanderer

In der deutschsprachigen Welt gilt Peter Thiel für viele als finstere Gestalt. Seine Kritiker werfen ihm vor, die Strippenzieher im Hintergrund zu sein. Seine Firma Palantir wird oft als Zentrum eines amerikanischen Überwachungsstaates dargestellt – angeblich mit "Minority Report"-Polizeimethoden, bei denen Verbrechen vorhergesagt und verhindert werden, bevor sie geschehen. Er sei ein mächtiger Drahtzieher hinter Donald Trump, ein Darth Vader aus dem Silicon Valley. Oder sogar: der Antichrist.
Doch ich sehe in ihm etwas ganz anderes.
Ich helfe Deutschen, Österreichern und Schweizern dabei, ins Ausland zu ziehen. Ich selbst habe diesen Schritt hinter mir. Und für mich ist Peter Thiel ein Vorbild. Er wurde in Frankfurt geboren, wanderte mit seiner Familie in die USA aus – und hat dort etwas aufgebaut, das weltweit Bedeutung hat. Thiel ist der Inbegriff eines erfolgreichen Auswanderers. Ein Mann, der nicht nur finanziell, sondern auch intellektuell und geistig neue Wege gegangen ist.
Sein jüngstes Interview mit Ross Douthat in der New York Times vom 26. Juni 2025 dreht sich genau um diese Fragen: Warum ist der Westen stagnierend, warum traut sich kaum noch jemand, große Visionen zu verfolgen, und wie könnte ein Aufbruch aussehen? Der Titel: Peter Thiel und der Antichrist. Es geht darin nicht nur um Politik oder Religion, sondern um die Frage, warum der Westen den Glauben an den Fortschritt verloren hat. Und wie wir ihn zurückgewinnen könnten. Wer das Gespräch hört oder liest, merkt schnell: Hier spricht kein Supervillain, sondern ein Denker, der die Gegenwart kritisiert, weil er an eine bessere Zukunft glaubt.
Warum Deutsche Thiel so sehr ablehnen
Die deutsche Kultur hat eine tiefe Skepsis gegenüber Macht, Ehrgeiz und Abweichung vom Mainstream entwickelt. Das ist historisch nachvollziehbar. Doch es führt dazu, dass Menschen wie Peter Thiel automatisch als Bedrohung empfunden werden: Ein frommer Christ, ein libertärer Milliardär, ein Querdenker, der sich nicht einordnen lässt.
Selbst unter meinen eigenen Klienten, die sich mit dem Gedanken tragen, Deutschland zu verlassen, gibt es oft Ablehnung. In unseren privaten Telegram-Gruppen tauchen regelmäßig Verschwörungsvideos über Thiel auf. Da ist von Gedankenkontrolle, Trump, Palantir und Mars die Rede. Die Faszination ist fast so groß wie die Angst.
Doch wer sich die Zeit nimmt, Thiel zuzuhören, merkt: Es geht ihm nicht um Kontrolle, sondern um Befreiung. Nicht um Diktatur, sondern um Neuanfang.
Palantir ist nicht Minority Report
Ja, Palantir ist ein mächtiges Software-Unternehmen, das für Regierungen arbeitet. Aber nein: Es ist kein Orakel, das mit Künstlicher Intelligenz Menschen vorverurteilt.
Palantir verknüpft und visualisiert bestehende Daten, etwa zur Terrorismusbekämpfung oder in der Katastrophenhilfe. Es trifft keine Entscheidungen, ersetzt keine Richter und ist weit entfernt von der "Pre-Crime"-Fantasie aus dem Film Minority Report.
Gerade Thiel selbst warnt davor, solche Werkzeuge in die Hände einer globalen Technokratie zu legen. Sein großer Albtraum ist eine Welt, in der im Namen von "Sicherheit und Frieden" jede Form von Fortschritt ausgebremst wird.
Der Ausstieg aus der Tagespolitik
Thiel war einer der wenigen Tech-Milliardäre, die 2016 offen Trump unterstützten. Heute ist er vorsichtiger geworden. "Es ist wichtig, aber hochtoxisch", sagt er im Interview über Politik. Die Polarisierung, die Medienkampagnen, der permanente moralische Generalverdacht – all das hat ihn dazu bewogen, sich in den Hintergrund zurückzuziehen.
Er investiert weiter. Er diskutiert, schreibt, denkt. Doch nicht mehr auf der Bühne, sondern im Maschinenraum.
Stagnation statt Fortschritt: Thiels Kernthese
Der zentrale Gedanke, den Thiel seit Jahren verfolgt: Die westliche Welt steckt seit den 1970er Jahren in einer Phase der technologischen und kulturellen Stagnation.
Früher sind wir geflogen, haben entdeckt, gebaut, erobert. Heute streiten wir über Sprache, CO2-Bilanzen und Verbote. Fortschritt wurde durch Regulierung ersetzt, Neugier durch Angst. Die Gesellschaft schrumpft geistig.
Und genau dagegen rebelliert Thiel.
Warum sogar Elon Mars aufgegeben hat
Ein Schüsselmoment, der Thiels Weltsicht besonders deutlich macht, ist seine Erzählung über ein Gespräch mit Elon Musk im Jahr 2024, das für ihn selbst einen Wendepunkt markiert. Dort habe Musk erklärt, er glaube nicht mehr daran, dass man dem System entkommen könne – nicht einmal auf dem Mars. Selbst in einer neuen Kolonie würden die Regulierer, die Wokeness und die Überwachung folgen.
Das ist für Thiel der eigentliche dystopische Albtraum: Nicht das Chaos, sondern die ewige Ordnung. Nicht Anarchie, sondern ewige Verwaltung.
Christlicher Transhumanismus
Thiels Denken ist nicht atheistisch, sondern zutiefst vom Christentum geprägt. Er kritisiert Transhumanismus nicht, weil er gotteslästerlich wäre – sondern weil er zu klein denkt.
Eine Geschlechtsumwandlung? Ein Upload ins Netz? Für Thiel sind das primitive Vorläufer des eigentlichen Ziels: die Verwandlung des ganzen Menschen. Körperlich, geistig, seelisch. Eine Art technische Auferstehung. Wissenschaft als Fortsetzung der Hoffnung.
Was Unternehmer von ihm lernen können
Für alle, die unternehmerisch denken, die aussteigen wollen, die neue Strukturen schaffen wollen, ist Thiel ein faszinierendes Vorbild. Nicht weil er perfekt ist. Sondern weil er kompromisslos ist.
Fünf Lehren für Entrepreneure:
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Denke in Jahrhunderten, nicht in Quartalen. Wirklicher Wandel braucht Zeit, Mut und Tiefe.
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Verlasse die Herde. Wer dazugehören will, bleibt klein. Wer aussteigt, kann groß werden.
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Fürchte nicht den Skandal. Fürchte die Bedeutungslosigkeit.
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Baue Werkzeuge, keine Ideologien. Technologie sollte Probleme lösen, nicht Weltanschauungen verbreiten.
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Bleibe gefährlich: intellektuell, moralisch, spirituell.
Der Ruf zur Flucht nach vorn
Viele meiner Klienten empfinden ein diffuses Gefühl der Beklemmung. Einer schrieb mir vor Kurzem: "Ich habe das Gefühl, als ob ich in einem riesigen, perfekt funktionierenden System festsitze, das mir aber die Luft zum Atmen nimmt." Solche Aussagen höre ich oft. Sie zeugen von einem wachsenden Unbehagen, das sich nicht leicht in Worte fassen lässt. Sie wissen, dass "etwas nicht stimmt" in Deutschland oder Europa. Aber sie finden keine Sprache dafür. Vielleicht liegt es daran, dass ihnen in Medien und Politik kein Spiegelbild geboten wird.
Peter Thiel hat diese Sprache gefunden. Er ist kein Antichrist. Er ist vielleicht der erste moderne Auswanderer, der seine Herkunft überwunden hat, ohne sie zu verleugnen. Ein deutscher Denker, der in der Neuen Welt ein neues Denken gewagt hat.
Wenn das gefährlich ist, dann sollten wir alle etwas gefährlicher werden.