Amerika verstehen – eine Antwort auf den SPIEGEL

Deutsche Medien sehen in Trump den Untergang der Demokratie. In Wahrheit lebt Amerikas Freiheit in Bundesstaaten, Städten und Nachbarschaften.

Es ist fast schon ein Ritual geworden: In deutschen Redaktionen blättert man durch die Schlagzeilen des Tages, und irgendwo wird Donald Trump auftauchen. Mal als Clown, mal als Diktator, mal als Allegorie für den drohenden Untergang der Demokratie. Julia Amalia Heyer, die Washington-Korrespondentin des SPIEGEL, hat dieses Muster in ihrem jüngsten Leitartikel perfektioniert. Sie zeichnet das Bild eines Landes, das angeblich in autoritäre Finsternis abgleitet, eines Amerikas, das nur noch von Angst und Unterwerfung beherrscht sei.

Doch wer das Land kennt, wer hier lebt, wer in den Straßen amerikanischer Städte, in den Rathäusern, County-Courts und Schulbezirken das echte Leben erlebt, erkennt sofort: Das ist ein Zerrbild. Es ist ein Deutschland, das in Amerika immer nur Trump sieht, während die Amerikaner selbst sich längst mit anderen Dingen beschäftigen.

Die Realität im Alltag

Ich erinnere mich noch gut an meine ersten Jahre hier, nachdem ich 2008 in die USA gezogen war. Am Anfang schaute ich noch europäische Nachrichten und war überrascht, wie sehr alles von Washington und vom Präsidenten bestimmt war. Dann stellte ich den Fernseher auf die lokalen Sender – und plötzlich war ich in einer anderen Welt. Da ging es nicht um die großen Posen im Rosengarten, sondern um die Schlaglöcher auf der Main Street, um die Schulbusse, die verspätet waren, um den Sheriff, der wiedergewählt werden wollte.

Diese Diskrepanz hat sich bis heute gehalten. Wer in Deutschland fernsieht, glaubt, Amerika drehe sich Tag und Nacht nur um Trump. Wer in den USA lebt, weiß, dass er in den Abendnachrichten kaum öfter vorkommt als der lokale Bürgermeister. Amerikaner kümmern sich um ihr County, ihre Nachbarschaft, ihre Steuern und Schulen. Washington ist für viele weit weg, ein Rauschen, das man wahrnimmt, aber selten wirklich hört.

Föderalismus als Fundament

Das liegt nicht an Desinteresse, sondern am System. Die USA sind keine Zentralmacht wie Berlin oder Brüssel, wo eine Hauptstadt die Regeln für alle setzt. Sie sind ein Flickenteppich von fünfzig Staaten, jeder mit eigenen Gesetzen, eigenen Traditionen, eigener Identität. Wer hier über Demokratie spricht, muss verstehen: Sie lebt nicht im Oval Office, sondern in den Townhalls und Gemeinderäten, bei den Wahlen der Schulvorstände und der County Judges.

Deshalb ist die Vorstellung, ein Präsident könne die amerikanische Demokratie „plattwalzen wie den Rasen im Rosengarten“, so grotesk. Er mag Schlagzeilen machen, ja, er mag provozieren und polarisieren. Aber er regiert nicht Kalifornien, er regiert nicht Texas, er regiert nicht die zahllosen Städte und Countys, in denen sich das amerikanische Leben abspielt.

Die deutsche Projektion

Wenn deutsche Journalisten das Gegenteil behaupten, hat das weniger mit Amerika zu tun als mit Deutschland selbst. Wir sind ein zentralistisch geprägtes Land. Berlin entscheidet, Brüssel reguliert. Wir projizieren dieses Modell auf die USA und unterstellen, auch dort müsse ein Präsident wie ein Kanzler oder EU-Kommissar alle Fäden in der Hand halten.

Doch das ist ein fundamentales Missverständnis. In Wahrheit ist gerade die Machtbegrenzung der Kern der amerikanischen Ordnung. Checks and Balances sind hier kein Schlagwort, sondern gelebte Realität. Gouverneure widersprechen Präsidenten, Gerichte stoppen seine Verordnungen, Bundesstaaten verklagen Washington – und gewinnen. Kein Präsident, auch kein Donald Trump, ist „das Gesetz“.

Medien und Wirklichkeit

Aber solche Details stören das große Narrativ nicht. Für den SPIEGEL ist Trump die ultimative Projektionsfläche. Mit ihm lassen sich Schlagzeilen verkaufen, Ängste schüren, Feindbilder pflegen. Dabei entsteht eine verzerrte Karikatur, die mehr über die deutsche Befindlichkeit verrät als über die amerikanische Wirklichkeit.

Die Ironie ist: In Deutschland sieht man Trump vermutlich öfter im Fernsehen als in den USA selbst. Hierzulande lebt ein ganzer Medienbetrieb davon, ihn zur Schreckfigur aufzubauen. In Amerika dagegen wird er, sobald die Kamera ausgeht, von den Alltagsproblemen verdrängt: steigende Immobilienpreise, Schulreformen, lokale Infrastruktur. Das ist die Demokratie, die hier zählt – kleinteilig, konkret, manchmal chaotisch, aber eben lebendig.

Die Stärke der Staaten

Wer verstehen will, warum Amerika kein autoritäres System werden kann, muss diesen Föderalismus begreifen. In Kalifornien gilt ein völlig anderes Steuer- und Bildungssystem als in Texas. New York hat strenge Waffengesetze, Idaho kaum welche. Florida und Massachusetts könnten politisch verschiedener nicht sein – und trotzdem sind sie Teil derselben Union.

Gerade diese Vielfalt ist der beste Schutz gegen die angebliche „Rutschpartie in den Autoritarismus“, die der SPIEGEL heraufbeschwört. Kein Präsident kann sie aufheben. Kein Dekret aus Washington kann die Unterschiede einebnen. Wer mit der Politik seines Staates unzufrieden ist, zieht einfach in einen anderen – und stimmt dort neu ab. Das ist Freiheit, gelebte, praktische Freiheit.

Warum solche Artikel Propaganda sind

Man könnte nun sagen: Vielleicht weiß die Autorin das alles nicht. Vielleicht lebt sie tatsächlich in der Filterblase der Hauptstadtpresse, umgeben von Politikberatern und Lobbyisten, die den Eindruck erwecken, Washington sei das Zentrum des Universums. Aber sie ist eine intelligente Frau, sie kennt die Strukturen. Deshalb bleibt nur eine andere Erklärung: Es ist bewusste Zuspitzung, ein Stück politischer Propaganda.

Denn wenn man ehrlich wäre, müsste man zugeben: Die amerikanische Demokratie ist weit widerstandsfähiger, als es die apokalyptischen Bilder im SPIEGEL nahelegen. Und gerade darin liegt ein Problem für jene, die alles am liebsten auf Trump reduzieren.

Ein Fazit aus Erfahrung

Nach fast zwei Jahrzehnten in den USA sage ich: Dieses Land ist nicht perfekt. Es hat Spaltungen, es hat Exzesse, es hat eine politische Kultur, die uns Europäern fremd erscheinen mag. Aber was es nicht hat, ist die Gefahr, dass ein einzelner Mann die Demokratie im Alleingang abschafft.

Wer das behauptet, versteht nicht, dass die amerikanische Freiheit nicht in Washington verankert ist, sondern in den unzähligen staatlichen und lokalen Institutionen, in der Macht der Bürger, in der Selbstbestimmung der Gemeinden.

Deshalb ist die Diagnose des SPIEGEL nicht nur falsch. Sie ist ein Schlag ins Gesicht all jener Amerikaner, die tagtäglich ihre Demokratie leben – beim Wählen des Sheriffs, beim Streit über das Schulbudget, bei der Diskussion im Rathaus.

„The land of the free“ gleitet nicht ab ins Unfreie. Es bleibt, trotz aller Dramen in Washington, genau das, was es immer war: ein Land, dessen Stärke in seiner Vielfalt und Dezentralität liegt.

Und vielleicht ist es genau das, was man in Deutschland nicht versteht – oder nicht verstehen will.